Scotty ist nicht ganz der freundliche, dauerwedelnde Labbi-Mix, den wir erwartet haben – das haben wir zu akzeptieren gelernt und alle, die uns kennen, wissen das auch nur zu gut.
Er ist unsicher, sehr reizempfänglich und der Überzeugung, dass (Schein-)Angriff die beste Verteidigung sei. Charmant und niedlich zu all denen, die er kennt und denen er vertraut. Aber wehe, es kommt jemand Fremdes des Wegs (vielleicht sogar noch im Mantel oder mit Hut oder einfach mit etwas anderen Bewegungen als andere Menschen).
Einige Hunde sind sehr ok und einige davon mag er auch wirklich sehr und freut sich unbändig, wenn er sie endlich wieder sieht. Sandkastenfreundin Enya zum Beispiel, seine große Freundin Mayla oder der besteste aller bestesten Kumpels (leider vor einiger Zeit weggezogen, immerhin immer mal wieder zu Besuch hier). Aber ganz ehrlich? Wenn er der einzige Hund auf dieser Welt wäre, würde für Scotty die Welt auch nicht untergehen.
Als Ersthundehalter sind wir recht naiv an das Projekt Hund herangegangen und haben vieles falsch gemacht bzw. Scotty zu wenig Sicherheit geboten. Daran arbeiten wir aber seit seinem dritten Lebensmonat intensiv und sehr regelmäßig und haben eine wirklich steile Lernkurve hingelegt. Und sehr viel haben wir bereits gut in den den Griff bekommen durch Struktur, Erziehung, Training und Beschäftigung.
Das Problem
Seit ungefähr Herbst letzten Jahres wurde unser Zusammenleben aber wieder vermehrt auf die Probe gestellt und gefühlt haben wir mit allem noch einmal von vorn angefangen. Zudem wurde noch eine gesteigerte sexuelle Motivation erkennbar. Andere (unkastrierte) Rüden waren ein tiefrotes Tuch, Hündinnen nur noch gecheckt, ob sie wohl bald läufig wurden. Wie sagte unsere Trainerin neulich so schön: Es war alles so furchtbar ernst geworden. Für uns im Alltag allerdings auch mit einer angenehmeren Seite: Vorbeigehende Menschen, Radfahrer, Kinder im raschelnden Schneeanzug – alles fast egal, denn es gab ja wichtigere Dinge für Scotty. In der Hinsicht waren die Spaziergänge mit ihm fast entspannt.
Gänzlich unentspannt wurde es dagegen etwa seit November, als offenbar nacheinander alle Hündinnen der näheren und weiteren Nachbarschaft läufig wurden. Scotty hatte die Nase nur noch am Boden, schleckte jeden Grashalm ab, war fast nicht mehr ansprechbar und hing nur noch in der Leine. Und andere Rüden haben ihn eben zur Weißglut getrieben. Der Geruch allein reichte schon.
Zu Hause fand er keine Ruhe und fraß noch schlechter als zuvor. Nicht nur der quietschende Magen und das folgende Nüchtern-Erbrechen trieben ihn nachts immer wieder von seiner Decke und ließen ihn rastlos auf- und ablaufen. Eine wirklich anstrendende, schlaflose und nervenaufreibende Zeit.
Ich hatte dennoch große Bedenken, Scotty kastrieren (oder zumindest mit einem Hormonchip ausstatten zu lassen). Für das Alter war dieses Verhalten aus meiner Sicht nicht allzu verwunderlich und ich war noch fest entschlossen, das Problem mit Erziehung und zunehmendem Alter in den Griff zu kriegen. Außerdem hatte ich gelesen, dass sich Unsicherheit durch das dann fehlende Testosteron arg verschlimmern könnte.
Für den Mann des Hauses stellte sich die Situation deutlich belastender dar, da er zu dem Zeitpunkt den Großteil der Gassirunden übernommen hatte und natürlich entsprechend mehr davon mitbekam. Die Nerven lagen zum Teil schon blank.
Pubertät 2.0
Ende Februar habe ich dann (mit schlechtem Gewissen) nachgegeben und wir haben einen 6-Monats-Hormonchip setzen lassen. Und es begannen tatsächlich fürchterliche vier Wochen.
Am gleichen Abend noch begann Scotty, meinen Arm zu rammeln (das hat er in den Jahren zuvor wirklich nur in ganz „heißen Phasen“ der Läufigkeit einer Nachbarshündin ansatzweise gemacht).
Diese Rammelphase dauerte etwa drei Tage an und wir waren wirklich erstaunt: Wirkt das Ding schon? Ganz offensichtlich wurde auch eine gehörige „Portion Zucker“ freigesetzt, denn Scotty war der süßeste Schatz, den wir uns denken konnten. Und dauerhungrig…
In der zweiten Woche wendete sich das Blatt. Zu uns war er weiterhin zuckersüß, aber draußen herrschte offenbar Todesgefahr aus Scotty Sicht. Er nahm jedes Knistern, Rascheln, Klappern wahr, wurde wieder extrem unsicher und fuhr bei jedem kleinen Anlass komplett aus der Haut. Gassirunden wurden zur echten Nervenprobe und forderten alle Muskeln. Es schien, als ob der Hund noch keinerlei Erziehung genossen hätte oder jemals in der Hundeschule gewesen wäre. Wenn das so weiterginge, würde ich den Chip wieder entfernen lassen, so mein Entschluss.
In der dritten Woche dann eine erste, leichte Besserung. Scotty wurde ansprechbarer (auch in seinen Scheinattacken beim Duft anderer Rüden) und wir konnten wieder anfangen, an Grundsignalen und Leinenführigkeit zu arbeiten.
Ab der vierten Woche wurde er wesentlich ruhiger und fand seinen Witz und Charme wieder. So ausgelassen und fröhlich hatte er lange nicht mehr mit uns gespielt.
Beruhigung
Jetzt sind wir in der siebten Woche nach dem Setzen des Chips und auch ich bin froh, dass wir es gewagt haben. Noch immer findet er die Welt draußen mordsgefährlich, insbesondere andere Menschen, Fahrradfahrer, eScooter (Endgegner!) und auch andere Hunde müssen nicht in seiner Nähe sein. Das ist nach wie vor richtig anstrengend. Aber händelbar, denn trotz der ganzen Trigger ist Scotty ansprechbar, lässt sich zurückrufen und kann sich selbst wesentlich schneller wieder selbst runterfahren.
Futter
Die Futtermenge mussten wir nun das erste Mal knapp berechnen und für die gesamte Woche Leckerchen abwiegen. Solange wir ihn haben, ist Scotty eher mäkelig, ließ lieber mal etwas liegen statt alles möglichst schnell herunterzuschlingen. Kleingehackte Wurmkur-Tabletten in Leberwurst versenkt? Kein Problem für den Junghund: Er hatte alle Stückchen feinsäuberlich von der Leberwurst befreit und aussortiert.
Und jetzt? Es wird fast ohne Ausnahme alles verdrückt, was ihm geboten wird. Auch Kauartikel, die er zuvor nur versteckt hat, aber nicht darauf rumkauen mochte. Die Wurmkur können wir vielleicht sogar das nächste Mal fast ohne Leberwurst geben. 😉 Aber wir müssen wirklich gut aufpassen, was und wieviel er zu futtern bekommt.
Ende gut… ?
Zu uns ist er noch viel vertrauensvoller, anhänglicher und richtig kuschelig geworden. Bisher waren wir sehr beglückt, wenn es mit ein paar Häärchen seines Fells zum Kontaktliegen kam. Nun drängt er sich an uns, fordert Kraul- und Kuscheleinheiten ein und liebt es, bei uns zu liegen.
Mit Freundin Enya kann Scotty nun auch wieder unbefangen herumtollen, ist fech und verspielt. Und wenn es keine weiteren Ablenkungen gibt, zeigt er, was für ein eifriger und lernfreudiger Hund er ist. Das macht großen Spaß und gibt vor allem viel Motivation und Sicherheit, mit ihm zu arbeiten. Und die Menschen-sind-Feinde-Baustelle werden wir auch noch in den Griff bekommen.
Ich muss gestehen, dass ich wirklich positiv überrascht bin – und ein bisschen schuldbewusst, dass ich diese Erleichterung für Scotty und für uns so lange hinausgezögert habe. Klar ist es für uns nun leichter und entspannter – vor allem aber ist Scotty viel weniger gestresst, ist wieder der kleine Clown und Frechdachs, der er in den ersten etwa eineinhalb Jahren war.
Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, werden wir sicher noch einmal für zwölf Monate nachchippen lassen und dann entscheiden, ob er nach dieser Zeit einfach besser mit seinen Hormonen zurecht kommt und wir den Chip einfach auslaufen lassen können. Oder ob wir einer operativen Kastration zustimmen.
Zum Nachlesen
Das Thema Kastration und Hormonchip bewegt die Gemüter der Hundebesitzer:innen – meines ja ebenso. Geholfen hat mir das Buch von Udo Gansloßer und Sophie Strodtbeck: „Kastration und Verhalten beim Hund“, eine Entscheidung zu treffen (für eine „Testphase“).