… an dem ich einfach nur weit, weit weg „auf dem platten Land“ wohnen möchte.

Scotty hat die ersten acht Wochen seines Lebens in einem wendländischen Dorf – auf dem Hinterhof – verbracht. Durchaus mit anderen Tieren und Kindern und wohl auch verschiedenen erwachsenen Menschen, aber eben doch recht ruhig und mit wenig Verkehr im Alltag.
Was für ein Schock muss das für ihn gewesen sein, als wir ihn zum einen aus seiner gewohnten Familie herausholten – und gleich darauf auch noch ganz naiv direkt neben so einem vierrädrigen Ungetüm an der Straße (an der tatsächlich in dem Moment zwei Autos vorbeifuhren) auf dem Rasen absetzten, damit er noch vor der Heimfahrt ein „kleines Geschäft“ machen kann. Hat er natürlich nicht. Er war viel zu aufgeregt und verängstigt.

Scottys erste Autofahrt nach Hause 2020, auf dem Rücksitz mit der Schnautze auf dem Tuch mit dem Geruch seiner Mutter.

Für die Fahrt haben wir ein Tuch mit dem Geruch seiner Mutter mitbekommen, auf das er dann auch seine Schnute gelegt hat und so einigermaßen beruhigt einschlafen konnte.

Was der Umzug in die Stadt (auch wenn es der grüne Stadtrand ist) bedeuten würde, begreife ich erst jetzt im Nachhinein. So viele neue Eindrücke und Gefahren, so viele Menschen (die er so oft noch immer bedrohlich findet), Autos, Fahrräder und und und.

Wir haben natürlich versucht, ihn (buchstäblich nach Anleitung im Ratgeberbuch) an alle möglichen Situationen in unserem Alltag zu gewöhnen. Wir sind in die Stadt gegangen, haben Bus- und Zugfahren geübt, waren in Cafés und Restaurants, haben ihm viel Kontakt zu unterschiedlichen Menschen (alt, jung, mit Mantel, Hut, Stock, Brille, kleine Kinder, große Kinder) geboten. Und doch kamen irgendwann einige Eigenschaften zum Vorschein, für die diese Trainings nicht viel Eindruck hinterlassen haben.

Einiges müssen wir uns ganz sicher selbst auf die Fahne schreiben, weil wir selbst zu unsicher waren (oder zumindest aus Scottys Sicht nicht fähig genug, ihn sicher durchs Leben zu führen). Vieles aus der Hundeschule haben wir auch erst viel später so richtig verstanden und zuvor entsprechend wenig oder inkonsequent umgesetzt. Und wir haben ihn anfangs ganz offensichtlich auch überfordert.

Scotty mit Doppelklemmlippe beim Halloween-Shooting 2021
Foto-Credit: Matthias Hecht 2021

Vieles bringt Scotty aber einfach auch mit, was wir jetzt weitgehend nur noch managen können. Zum einen hat er einfach wenig kennengelernt in seinen ersten wichtigen Lebenswochen. Zum anderen kommt noch der genetische Mix aus Hüte- und Jagdhund hinzu, gepaart mit einer ausgeprägten sozialen und territorialen Motivation (ebenfalls genetisch nachvollziehbar).

Wir haben gelernt, wie wichtig feste Liegestellen sind und wir wissen inzwischen, wie wir Verantwortung aus Hundesicht übernehmen und wie wir ihm auch draußen mehr Sicherheit geben können. Spätestens seit der Kastration vor zwei Monaten und durch die zunehmende „Reife“ (oder zumindest Abgeklärtheit) als erwachsener Hund ist Scotty auch deutlich entspannter geworden.

Und doch kommt es immer mal wieder zu solchen Gassi-Runden hier in der Umgebung, die sowohl mir als auch Scotty selbst viel abverlangen. Ich komme mir dann manchmal vor wie in einem Jump ’n‘ Run-Spiel, bei dem immerzu plötzlich diverse Hindernisse auf den Weg fallen, die man möglichst schnell überwinden oder umrunden muss, um das nächste Level zu schaffen. Da geht man ganz locker mit seinem reizoffenen Hund durch eine sonst um die Uhrzeit ruhige Gegend und trifft in zügiger Reihenfolge ältere, wackelige Menschen, bekannte „Rivalen“, den Hundesschreck-Kater, Mutter mit weinendem Kind und Kinderkarre, einien vorbeifahrenden Bus, klappernde Anhänger – möglichst noch auf schmalen Wegen oder direkt hinter schlecht einsehbaren Kreuzungen. Wenn man dann dieses Level geschafft hat, kommen im nächsten diese Hindernisse zeitlich dicht aufeinander oder zeitgleich ohne Ausweichmöglichkeiten, Endgegner ist dann immer noch ein eScooter oder Jugendliche auf Fahrrädern mit wummernder Boombox. Gerne kommt dann noch ein verständnisloser Kommentar oder misbilligender Blick von anderen Menschen hinzu, wodurch man sich noch unfähiger und hilfloser vorkommt.

Alle Versuche, möglichst locker und den Hund managend da durchzukommen – gleichzeitig noch ein ruhiges Fleckchen für seine zu verrichtenden Geschäfte zu finden – enden nicht selten in Stress und auch Verärgerung über gedankenlose Leute, Scotty, die Welt an sich und nicht zuletzt über sich selbst.

Zu Hause angekommen sind wir dann beide erstmal richtig k. o., sehr erleichtert wieder im sicheren Raum zu sein. Mich überkommt dann auch immer etwas Mitleid und schlechtes Gewissen, Scotty dieser für ihn so oft überfordernden Welt mit den vielen Geräuschen und Bewegungen auszusetzen. Klar, mit Abschalttraining und Impulskontrolle lernt er, diese Welt besser auszuhalten. Aber es hat eben auch einfach individuelle Grenzen (sowohl bei uns als auch bei Scotty), was aushaltbar ist und wann eben der Topf dann mal wieder überläuft.

Scotty happy auf einem Sandhügel, allein auf dem Hundeplatz

Ein Häuschen in einem kleinen Dörfchen mit vielen Feldern und Wäldern drumherum scheinen mir an solchen Tagen die einzige Lösung zu sein. Und dann fällt mir Scottys Panik vor umherschwirrenden Insekten ein, die Unruhe bei Wind durch das raschelnde Laub und diverse andere für ihn herausfordernde Umweltreize …

Und dann atme ich erst einmal durch, erinnere mich an die vielen Fortschritte, die wir schon gemacht haben und versuche mich in einer „Ist mir doch total egal, was die Nachbarn von mir und dem (gefährlichen/bissigen/unberechenbaren) schwarzen Hund halten“-Haltung.

Und das ist wohl auch das Wichtigste überhaupt, um Scotty auch draußen Gelassenheit und Ruhe vorleben und mitgeben zu können.

2 Kommentare

  1. Loved it.❤️

    Vielen Dank für den Einblick in euren Alltag. Aus Läuferinnen-Sicht habe ich jetzt definitiv mehr Verständnis für Hundebegegnungen, die nicht so laufen, wie ich Zweibeinerin mir das vorstelle.

    1. Oh, das ist ja schön! 🙂 Mir ist es leider auch schon passiert, dass mir die Schleppleine durch die Hände gerutscht ist und Scotty einige Meter einer Joggerin hinterjagen konnte. Sehr, sehr peinlich – und diese Erfahrung lag mir auch sehr lange noch im Magen. Ich kann mir vorstellen, wie unangenehm es allein schon ist, an freilaufenden Hunden vorbeizulaufen. Einen jagenden Hund an den Hacken zu spüren, braucht echt keine:r. Die meisten Hunde haben damit ja hoffentlich kein Thema, aber rücksichtsvoll wäre es schon, wenn die Halter:innen die Hunde zumindest erkennbar ansprechen, so dass auch Läufer:innen beruhigter sind. Das „Dankeschön“ vieler Jogger:innen, wenn man den Hund neben sich hält, lässt darauf schließen, dass das wohl nicht allzu viele Hundehalter:innen machen. Schade.

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